Rede von Mitglied Annette Breitsprecher vor dem Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses am 22.01.18
22/01/2018
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten, sehr geehrter Herr Kultursenator!
Als politisch interessierter und musikschulpolitisch engagierter Mensch habe ich es mit großer Freude wahrgenommen: Derzeit ist erstmalig ein klarer politischer Wille erkennbar, gegenzusteuern gegen die katastrophale Entwicklung der Berliner Musikschullandschaft in den vergangenen Jahrzehnten. Die bezirklichen Musikschulen werden endlich wirklich als wichtige Bildungs- und Kulturinstitutionen angesehen, und sie sollen auf ein solides Fundament gestellt werden. Das kann gar nicht hoch genug geschätzt werden, und ich möchte all denjenigen unter Ihnen, die zu diesem längst überfälligen Kurswechsel beigetragen haben, sehr herzlich danken.
Zugleich bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass mein Wortbeitrag im Folgenden diese Sicht auf das Ganze verlässt. Ich möchte Ihnen die „Innenperspektive“ der Freien Mitarbeiterinnen und Freien Mitarbeiter an den Musikschulen nahe bringen. Wir stellen ja derzeit rund 90% des künstlerisch-pädagogischen Personals, und die große Mehrheit unter uns erwirtschaftet ihren Lebensunterhalt ausschließlich oder überwiegend durch die Musikschularbeit.
Ich selbst unterrichte inzwischen seit fast 30 Jahren an der Musikschule Fanny Hensel. 30 Jahre in einem herausfordernden und schönen Beruf, von dessen gesellschaftlichem Mehrwert ich zutiefst überzeugt bin und den ich nicht zuletzt deshalb auch für mich selbst als sehr sinnstiftend erlebe.
Nur gibt es da leider all diese „Freiheiten“, die das Dasein als Freie Mitarbeiterin mit sich bringt:
Die Freiheit, von der Hand in den Mund zu leben und sehenden Auges einer Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus entgegen zu gehen, die Freiheit, bloß nicht krank zu werden, weil man sich die drei Karenztage gerade einfach nicht leisten kann, die Freiheit, Schwangerschaften und Erziehungszeiten mit der Ungewissheit zu durchleben, ob und wie es danach an der Musikschule weitergeht, die Freiheit, plötzlich weit weniger unterrichten zu können als man möchte (und aus existentiellen Gründen auch müsste), weil beispielsweise Haushaltssperre ist oder weil Räume in einer allgemeinbildenden Schule plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen, die Freiheit, jederzeit mit einer kurzfristigen Kündigung des Dienstvertrags rechnen zu müssen, die Freiheit von jeglicher Mitarbeitervertretung, die Freiheit zu kleinteiliger Bürokratie in Form von Einzelstundenabrechnungen, die Freiheit, Schulferien-Zeiten ohne Einkünfte überstehen zu müssen - alles in allem: die Freiheiten eines prekären Daseins.
Auf diese Freiheiten würde, mich eingeschlossen, die überwiegende Mehrheit der Musikschullehrkräfte liebend gerne verzichten! Dies muss deshalb so deutlich gesagt werden, weil immer noch gelegentlich das Gerücht anzutreffen ist „Das sind doch Künstler, die wollen das so.“ – Nein! Und weil wir das nicht so wollen, bedeutete der Koalitionsvertrag mit seinen Absichtserklärungen zur Verbesserung der sozialen Lage der Musikschullehrkräfte weit mehr als nur einen Silberstreif am Horizont: Es schien, die Situation werde sich erstmalig bessern, tatsächlich individuell spürbar für die einzelnen Betroffenen.
Mittlerweile herrscht jedoch große Ernüchterung: Die in Aussicht gestellten Verhandlungen über einen Tarifvertrag für Freie wird es vielleicht nicht geben, nachdem die TdL ihre Zustimmung verweigert hat. Für die nach Umsetzung des 20%-Festanstellungsplanes verbleibenden 80% der Lehrkräfte steht also derzeit völlig in den Sternen, ob sich etwas an ihrer Lage bessert.
Gleichzeitig entsteht durch die Art der Umsetzung dieses Plans sogar ein neues Bedrohungsszenario für die „Freien“: Was, wenn diese Stellen an Außenstehende vergeben werden, die bisher gar nicht an der entsprechenden Musikschule beschäftigt sind? Dann bekommen die Freien nicht nur nichts ab vom „Stellenkuchen“ – sie müssen sogar ein sinkendes Auftragsvolumen befürchten. Denn die Auslastung der Festangestellten hat, verständlicherweise, immer Vorrang. Die Folge wäre eine Verschlimmerung statt einer Verbesserung der Situation.
Leider wird der „Stellensegen“ mancherorts offenbar als Gelegenheit missverstanden, eine wie auch immer geartete „Profilierung“ der Musikschule oder auch eine Verjüngung des Kollegiums auf Kosten der derzeit Beschäftigten voranzutreiben: Da wird von „Bestenauslese“ gesprochen, ein möglichst großer Bewerberkreis über Berlin hinaus avisiert und auf das Grundgesetz verwiesen zur Begründung der Behauptung, es sei nicht möglich, die Stellen gezielt an die bereits an der Musikschule beschäftigten Lehrkräfte zu vergeben. Oder es fällt der Satz, die Stellen seien nicht für die Alten, für die lohne sich das ja sowieso nicht mehr ...
Aus unserer Sicht entspricht ein solches Vorgehen in keiner Weise der im Koalitionsvertrag formulierten Absicht. Dort ist die Rede von „Umwandlung“ von Honorarbeschäftigung in Festanstellung, mit dem Ziel der Besserung der sozialen Lage der Beschäftigten. Und das sind doch zunächst und vorrangig diejenigen, die mit ihrem Engagement in der Vergangenheit das System getragen haben - allen widrigen Bedingungen zum Trotz. Aus dem bisher Gesagten wird hoffentlich deutlich, warum die Stimmung bei den Betroffenen im Moment nicht allzu euphorisch ist. Daraus sollte bitte aber nicht geschlossen werden, „Freie“ lehnten die Schaffung von festen Stellen für Musikschullehrkräfte ab – ganz im Gegenteil! 20% sind ein Anfang, aber das Ziel muss sein, alle hauptberuflichen Musikschullehrkräfte fest anzustellen, mithin das Verhältnis zwischen Festen und Freien auf die Dauer tendenziell umzukehren.
Es gibt nur sehr wenige Bereiche der Musikschularbeit, in denen der Einsatz von Honorarkräften tatsächlich sinnvoll und geboten ist. Musikschulen brauchen (fast) keine Honorarkräfte – das Land hat sie jahrzehntelang gebraucht, als Sparmodell, und das war und ist nicht in Ordnung.
Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer erbringen einen nicht geringen Beitrag zur humanistischen, kulturellen und interkulturellen Bildung der Menschen in dieser Stadt - dies sollte sich auch im Umgang mit ihnen widerspiegeln. Deshalb muss weiter am Stellenaufbau gearbeitet werden. Und da das vermutlich nicht von heute auf morgen geht, brauchen wir an Stelle des versprochenen, aber derzeit wohl nicht möglichen Tarifvertrages schnellstmöglich eine andere, kollektivrechtliche vertragliche Übergangslösung zur Verbesserung der sozialen Situation der Freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ich danke Ihnen.
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